BGH: Keine Vergütung für minderqualifizierte Pflege

Verfügen die eingesetzten Pflegekräfte nicht über die vereinbarte Qualifikation, entfällt jeglicher Vergütungsanspruch. Dies gilt unabhängig davon, ob die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden.

Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 08.10.2015 – Az.: III ZR 93/15 – entschieden.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der klagende Pflegedienst machte gegen eine privat versicherte Klientin restliche Vergütungsansprüche aus einem Vertrag über ambulante Pflegeleistungen geltend.

Die Beklagte ist die Mutter des im Mai 2010 geborenen schwerbehinderten Kindes, das aufgrund einer rechtsseitigen Zwerchfellhernie intensiver medizinischer Pflege bedarf. Die Beklagte und ihr Sohn sind privat krankenversichert.

Die private Krankenversicherung erkannte die medizinische Notwendigkeit der häuslichen Intensiv- und Behandlungspflege an, und zwar auf Grundlage eines Stundensatzes von 35 EUR. In dem zwischen Klägerin und Beklagten abgeschlossenem Vertrag über „ambulante pflegerische Leistungen“ heißt es, dass der Pflegedienst einen Vertrag nach § 132a Abs. 2 SGB V mit den gesetzlichen Krankenkassen abgeschlossen habe. Auf der Homepage der Klägerin heißt es unter der Aussage „Qualität schafft Vertrauen“, dass bei dem Pflegedienst ausschließlich fest angestellte examinierte Kinderkrankenpflegekräfte, welche kontinuierlich durch Fortbildungen weitergebildet werden, arbeiten.

Im Zeitraum von August 2010 bis November 2012 erbrachte die Klägerin Pflegeleistungen und rechnete diese mit dem vereinbarten Stundensatz monatlich gegenüber der Beklagten ab, die die Rechnungen bei der privaten Krankenversicherung einreichte.

Mit Schreiben vom 01.11.2012 kündigte die Beklagte den Pflegevertrag und beauftragte einen anderen Pflegedienst.

Mit der Klage verlangt die Klägerin Zahlung der noch offenen Vergütung für die im Zeitraum von Juni bis November 2012 erbrachten Pflegeleistungen i.H.v. 40.445 EUR.

Die Beklagte hat aus eigenem und abgetretenem Recht der privaten Krankenversicherung mit angeblichen Schadenersatz- bzw. Rückforderungsansprüchen die Aufrechnung erklärt und vorgetragen, die Pflegeleistungen seien entgegen der vertraglichen Vereinbarung nicht von in Deutschland anerkannten Kinderkrankenschwestern bzw. Fachpflegekräften erbracht worden.

Das LG hat der Klage stattgegeben, das OLG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auch wenn die Klägerin die Leistungen durch geringer qualifiziertes Personal erbracht hat, änderte dies am Vergütungsanspruch nichts. Dieser für die ärztliche Heilbehandlung entwickelte Maßstab gelte – so das OLG – auch für Pflegedienste, die von nicht hinreichend qualifiziertem Personal geleitet würden.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Ziel der Abweisung der Klage.

Der BGH hebt mit seiner Entscheidung das Urteil des OLG auf, welches den Zahlungsanspruch aus § 611 BGB herleitet.

Entgegen der Auffassung des OLG hat – so der BGH – die Klägerin keinen Vergütungsanspruch soweit die eingesetzten Pflegekräfte nicht über die im Pflegevertrag vorausgesetzte Qualifikation verfügen.

In der gesetzlichen Krankenversicherung führt das Unterschreiten der nach dem Pflegevertrag vereinbarten Qualifikation auch dann zum vollständigen Entfallen des Vergütungsanspruchs, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden (vgl. BGH, NJW 2014, 3170).

Dieser „streng formalen Betrachtungsweise“ liegt die st.  Rspr. des BSG zum Vertragsarztrecht und zum Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde, wonach Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher oder sonstiger Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, innerhalb dieses Systems zu gewährleisten haben, dass sich die Leistungserbringung nach den für diese Art der Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht.

Dies wird dadurch erreicht, dass dem Leistungserbringer für Leistungen, die unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirkt werden, auch dann keine Vergütung zusteht, wenn diese Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden und für den Versicherten geeignet und nützlich sind.

Um eine den praktischen Erfordernissen entsprechende Qualitätskontrolle zu gewährleisten, können die Krankenkassen auf formalen Ausbildungs- und Weiterbildungsqualifikationen bestehen mit der Folge, dass die Abrechenbarkeit von Leistungen streng an die formale Qualifikation des Personals anknüpft.

Der BGH betont noch, dass der Pflegevertrag auch auf die sozialrechtlichen Abrechnungsgrundsätze Bezug nehme, so dass die Abrechenbarkeit der erbrachten Pflegeleistungen – unbeschadet der Mitgliedschaft in einer privaten Pflegeversicherung – nach den Grundsätzen des Sozialrechts zu beurteilen ist.

Hinweis für die Praxis

Der BGH stellt ausdrücklich fest, dass beim Einsatz minderqualifizierter Pflegekräfte der Vergütungsanspruch vollständig entfällt und nicht etwa gemindert wird.

Die vereinbarte Qualifikation bezieht sich nicht nur auf die formale Grundqualifikation einer in Deutschland anerkannten Ausbildung als examinierte Pflegefachkraft, sondern auch auf die anderen vereinbarten Weiter- und Fortbildungsqualifikationen. Es gilt eine steng formale Betrachungsweise.

Erfüllt der Pflegedienst die vereinbarte personelle Qualität nicht, so verliert er jeglichen Vergütungsanspruch.