Kündigungsfristen für Pflegekunden sind unwirksam

Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.06.2011 – III ZR 203/10

Der Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2011 entschieden, dass die in einem Pflegevertrag enthaltene Klausel, der Kunde könne den Pflegevertrag mit einer Frist von 14 Tagen ordentlich kündigen, den Pflegebedürftigen unangemessen benachteilige und deshalb unwirksam ist. Zahlreiche Pflegeverträge müssen nun überarbeitet werden.

In dem entschiedenen Fall stritten die Parteien über die Wirksamkeit einer Kündigungsklausel in einem vom Pflegedienst gestellten Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen. Nach einem Krankenhausaufenthalt kündigte ein Pflegebedürftiger den Pflegevertrag mit seinem ambulanten Pflegedienst und nahm die angebotenen Leistungen nicht mehr entgegen, sondern beauftragte einen anderen Pflegedienst. Der gekündigte Pflegedienst war der Auffassung, das Vertragsverhältnis habe im Hinblick auf eine Kündigungsfrist von 14 Tagen erst zum Ablauf der Kündigungsfrist sein Ende gefunden und berechnete der Pflegekundin für die Kündigungsfrist die Leistungen, die üblicherweise zu erbringen gewesen wären, ohne Ansatz von Fahrtkosten.

Im Pflegevertrag findet sich zur Kündigung folgende Regelung:

„Der Vertrag endet mit Kündigung oder Tod des Kunden. Bei vorübergehendem stationären Aufenthalt (Kurzzeitpflege, Krankenhaus, Rehabilitationseinrichtung etc.) ruht der Vertrag.
Der Kunde kann diesen Vertrag in den ersten zwei Wochen ab Aushändigung eines schriftlichen Exemplars hinsichtlich der Pflegeversicherungsleistungen jederzeit ohne Angabe von Gründen fristlos kündigen. Danach bzw. ansonsten kann der Kunde den Pflegevertrag mit einer Frist von 14 Tagen ordentlich kündigen. Hinsichtlich vereinbarter Leistungen der Krankenpflege (§ 37 SGB V) gilt, dass der Kunde den Vertrag jederzeit gem. § 627 BGB kündigen kann.
Der Pflegedienst kann den Vertrag mit einer Frist von 4 Wochen kündigen. Die Kündigung bedarf der Schriftform. Die Rechte des Kunden bzw. des Pflegedienstes auf Kündigung aus wichtigem Grund bleiben unberührt.“

Die auf Zahlungsklage des Pflegedienstes ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Auch der Bundesgerichtshof wies die Klage nunmehr zurück, da die vereinbarte Kündigungsfrist für den Pflegekunden unzulässig sei.

Begründung: Die 14-tägige Kündigungsfrist sei eine einseitig vorgegebene Geschäftsbedingung des Pflegedienstes und daher nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu beurteilen. Zwar könnetn die in § 621 BGB geregelten Kündigungsfristen, auch die jederzeitige Kündigungsmöglichkeit des § 621 Nr. 5 BGB, durch eine Vereinbarung der Parteien verändert werden. Geschieht dies aber durch vorformulierte Vertragsbedingungen, die der Pflegedienst dem Pflegekunden gestellt hat, so unterliegen diese der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Danach ist eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

In der vereinbarten 14-tägigen Kündigungsfrist liegt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs eine solche erhebliche Abweichung von der jederzeitigen Kündigungsmöglichkeit nach § 621 Nr. 5 BGB, die in Bezug auf das Vertragsverhältnis zu einem Schwerstpflegebedürftigen mit Nachteilen verbunden ist, die ein erhebliches Gewicht haben. Aus der Sicht des Pflegebedürftigen handelt es sich um ein Vertragsverhältnis, das in besonderer Weise die Intimsphäre berührt und mit einer großen persönlichen Nähe zu der die Pflege gewährenden Person verbunden ist. Auch wenn man berücksichtige, dass der Pflegebedürftige auf diese Pflegeverrichtungen ständig angewiesen ist, handle es sich doch in den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität um Dienste, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Das sei nicht etwa deshalb anders, weil der Pflegebedürftige keinen Einfluss darauf habe, welcher Mitarbeiter des Pflegedienstes ihn zu unterstützen hat. Entscheidend sei insoweit vielmehr, dass der Pflegebedürftige, der sich mit Hilfe von Pflegegeld die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung auch selbst beschaffen könnte, sich einer zugelassenen Pflegeeinrichtung anvertraut, die ihre pflegerischen Leistungen unter der ständigen Verantwortung einer ausgebildeten und berufserfahrenen Pflegefachkraft zu erbringen habe.

Die Klausel zur 14-tägigen Kündigungsfrist verstoße auch gegen § 627 Abs. 1 BGB, da die vom Pflegedienst übernommenen Verrichtungen als „Dienste höherer Art“ im Sinne dieser Bestimmung anzusehen seien. Die häusliche Krankenpflege, die die ärztliche Behandlung im Haushalt des (kranken) Pflegebedürftigen ergänzen und sichern soll, teile den Charakter der ärztlichen Behandlung als Dienste höherer Art. Die besondere Vertrauensstellung der Pflegekraft werde dadurch bestätigt, dass auch der Krankenpfleger als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, einer Schweigepflicht unterliegt, deren Verletzung nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB (für die berufsmäßig tätigen Gehilfen in Verbindung mit § 203 Abs. 3 Satz 2 StGB) mit Strafe bedroht sei. Ebenso wenig wie beim Arzt sei es für die Qualifizierung einer Leistung als Dienst höherer Art von Bedeutung, ob der Berufsträger sie selbst vornimmt oder ob er sie – im Rahmen seiner Berufspflichten – durch einen Helfer unter seiner Verantwortung vornehmen lasse.

Auch bei der allgemeinen Pflege, die nicht Krankenpflege ist, gebe es keine ins Gewicht fallenden Unterschiede. Natürlich sei die hauswirtschaftliche Versorgung für sich genommen kein Dienst höherer Art. Für die Beurteilung einer zugelassenen Pflegeeinrichtung sei der Hilfebedarf jedoch als Ganzes in Rechnung zu stellen, wobei die Hilfen im Bereich der Körperpflege besonders bedeutsam sind, um – etwa bei Schwerstpflegebedürftigen – Dekubitusschäden zu vermeiden. Die persönlichen Voraussetzungen für die verantwortliche Pflegefachkraft eines zugelassenen Pflegedienstes verdeutlichen, dass den Berufen der Krankenschwester und des Krankenpflegers sowie denjenigen der Altenpflegerin und des Altenpflegers dieselbe Bedeutung beigemessen wird, wobei auch der Altenpfleger als Angehöriger eines Heilberufs mit seinen Gehilfen der Schweigepflicht unterliegt.

Eine andere Beurteilung ergebe sich nicht aus der Bestimmung des § 120 Abs. 2 Satz 2 SGB XI, nach der der Pflegebedürftige den Pflegevertrag innerhalb von zwei Wochen nach dem ersten Pflegeeinsatz ohne Angabe von Gründen und ohne Einhaltung einer Frist kündigen kann. Bei der Regelung handele es sich nicht um eine Kündigungsfrist, sondern um eine Frist, innerhalb derer das Recht zur fristlosen Kündigung wahrgenommen werden könne. § 120 Abs. 2 SGB XI lasse die allgemein geltenden Vorschriften des Dienstvertragsrechts, insbesondere § 621 Nr. 5 BGB, unberührt. Der Regelung könne auch nicht im Umkehrschluss entnommen werden, abgesehen von Fällen einer fristlosen Kündigung nach § 626 BGB könne ein Pflegevertrag nach Ablauf von 14 Tagen nach dem ersten Pflegeeinsatz nur noch unter Inanspruchnahme einer bestimmen Frist und unter Angabe bestimmter Gründe gekündigt werden.

Bei den Verrichtungen eines Pflegedienstes, auch soweit sie sich allein auf Sachleistungen der Pflegeversicherung beziehen, handle es sich also um „Dienste höherer Art“. Daher sei in der Einschränkung der jederzeitigen ordentlichen Kündigungsmöglichkeit für den Pflegebedürftigen, der – ob zu Recht oder Unrecht – sein Vertrauen in die Tätigkeit des Pflegedienstes verloren habe, eine unangemessene Benachteiligung seiner Interessen zu sehen. Diese Benachteiligung werde nicht dadurch aufgewogen, dass der Pflegedienst nach den gestellten Bedingungen selbst eine Kündigungsfrist von vier Wochen zu beachten habe. Denn der Verzicht des Pflegedienstes auf eine kürzere Kündigungsfrist habe für ihn eine andere Bedeutung und verbessere auch nicht die Situation des Pflegebedürftigen.

Da der Pflegevertrag wirksam ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt worden sei, stehe dem Pflegedienst für die angebotenen, aber nicht mehr entgegengenommenen Leistungen keine Vergütung zu.

Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen. Letztlich ist es einem Pflegekunden nicht zumutbar, gegen seinen erklärten Willen durch einen bestimmten Anbieter gepflegt zu werden, auch wenn sonst ein wichtiger Grund für die Kündigung nicht vorliegt. Pflegedienste müssen daher sehr flexibel sein und können nur für den Tag planen. Die vom BGH genannte Einstufung der Pflegeleistungen als „Dienste höherer Art“ gem. § 627 BGB hat im Übrigen zur Folge, dass auch bei der Kündigung durch den Pflegedienst Besonderheiten zu beachten sind: Gem. § 627 Abs. 2 S. 1 BGB darf der Verpflichtete (Pflegedienst) nur in der Art kündigen, dass sich der Dienstberechtigte (Pflegekunde) die Dienste anderweit beschaffen kann. Pflegedienste können also so kündigen, dass sich der Pflegekunde die Anschlussversorgung durch einen anderen Pflegedienst beschaffen kann. Eine laufende Behandlungspflege gem. § 37 SGB V darf allerdings nur dann eingestellt werden, wenn bis zur Anschlussversorgung durch einen anderen Pflegedienst bzw. bis zum Eintreffen eines Arztes weder Leben noch Gesundheit des Patienten gefährdet sind.

Tipp für die Praxis:

Nach dem Urteil sind auch kürzere Kündigungsfristen als 14 Tage, also auch etwa 7 Tage oder noch weniger, unzulässig. Der Pflegekunde kann sich danach also jederzeit fristlos vom Pflegevertrag lösen. Prüfen Sie den von Ihnen gestellten Pflegevertrag auf seine Regelungen zur Kündigung durch den Pflegekunden. Sollten hier bestimmte Fristen geregelt sein, so sind diese nach dem Urteil des BGH unwirksam. Passen Sie die Kündigungsregelungen in Ihrem Vertrag an und räumen Sie zukünftig Ihren Pflegekunden ein fristloses Kündigungsrecht ein.