Kassen müssen Verzugszinsen zahlen

Die hier zitierten Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) können unter www.bundessozialgericht.de unter der Rubrik Entscheidungen und Angabe des Aktenzeichens/Datums im Volltext und kostenfrei abgerufen werden. Die Urteile der Sozialgerichte (SG) und Landessozialgerichte (LSG) können in der Regel unter der Rubrik Entscheidungen und Angabe des Aktenzeichens/Datums im Volltext auf der Seite www.sozialgerichtsbarkeit.de abgerufen werden.

Bundessozialgericht, Urteile vom 23.05.2006
(Az: B 3 KR 6/05 R) und 03.08.2006 (Az: B 3 KR 7/06 R)
(im Mai 2007 Rechtsanwalt Dr. Johannes Groß)
 
Zu Verzugszinsen

Das Bundessozialgericht hat mit seinen Grundsatzurteilen vom 23.05.2006 (Az: B 3 KR 6/05 R) und vom 03.08.2006 (Az: B 3 KR 7/06 R) entschieden, dass die Krankenkassen den Leistungserbringern im Falle des Zahlungsverzuges Verzugszinsen und bei gerichtlichem Forderungseinzug Prozesszinsen bezahlen müssen. Mit diesen Urteilen hat das Bundessozialgericht die frühere Rechtsprechung korrigiert, nach der die Krankenkassen auf fällige Vergütungsforderungen der Leistungserbringer keine Verzugszinsen bezahlen mussten, da in den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften keine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Verzinsung existiere.

Das Bundessozialgericht hat die Änderung seiner Rechtsprechung mit der Entwicklung auf dem Gesundheitsmarkt begründet. Wie im allgemeinen Wirtschaftsleben stehen sich die Krankenkassen einerseits und die Leistungserbringer andererseits als Nachfrager und Anbieter gegenüber. Die Krankenkassen „kaufen“ von den Pflegediensten Leistungen ein, um damit den Sachleistungsanspruch ihrer Versicherten zu erfüllen. Kommen sie bei der Bezahlung dieser Leistungen in Verzug, so besteht kein sachlicher Grund, die Krankenkassen anders zu behandeln als andere Beteiligte am normalen Wirtschaftsleben. Bei zu langen Prüfungs- und Zahlungsfristen besteht nämlich die Gefahr, dass die Pflegedienste zur Aufrechterhaltung ihres Betriebes auf Drittmittel angewiesen sind, die erhöhte Kosten verursachen und im Extremfall sogar die wirtschaftliche Existenz gefährden können. Die Leistungserbringer können daher ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit Verzugszinsen von den Krankenkassen verlangen.

Wann sind die Vergütungsforderungen der Pflegedienste fällig? Nach den in Hessen geltenden Versorgungsverträgen erfolgt die Bezahlung der vollständig und ordnungsgemäß eingereichten Rechungen innerhalb von vier Wochen nach Eingang bei den Krankenkassen bzw. den von ihnen benannten Abrechnungsstellen. Bei Zahlung durch Überweisung gilt die Frist als gewahrt, wenn der Auftrag innerhalb dieser Zeit bei dem Geldinstitut eingeht bzw. dem Geldinstitut erteilt wurde. Die entsprechende Regelung kann jeder Vertragspartner in seinem Versorgungsvertrag nachlesen. Vor Ablauf der Vierwochenfrist ist der Pflegedienst nicht berechtigt, Bezahlungen zu verlangen.

Beispiel:

  1. Absendung der Abrechnung am 02.04.2007
  2. Eingang der Rechnung bei der Krankenkasse am 04.04.2007 (bei Postlaufzeit 2 Tage)
  3. Lauf der 4-Wochen-Frist
  4. Eingang des Zahlungsauftrags beim Geldinstitut/Erteilung des Zahlungsauftrags: 02.05.2007
  5. Eingang der Rechnungssumme auf dem Konto des Pflegedienstes: 04.05.2007 (bei Ausführung durch Bank innerhalb von 2 Tagen)

Sollte der Pflegedienst im obigen Beispiel am 04.05.2007 noch kein Geld auf seinem Konto haben, so kann er ab dem 05.05.2007 Verzugszinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verlangen. Der Basissatz beträgt derzeit 2,70 % (Stand 01.01.2007), so dass die Krankenkassen im Falle des Zahlungsverzuges 10,7 % p.a. Zinsen bezahlen müssen. Um die Verzugszinsen zu erhalten, bedarf es keiner Mahnung, da die Fälligkeit vertraglich bestimmt ist. Die Kasse befindet sich automatisch im Zahlungsverzug.

Fraglich ist, ob der Pflegedienst im Falle des Zahlungsverzugs neben den Verzugszinsen auch die Mahngebühr verlangen und einen Rechtsanwalt mit dem Forderungseinzug zu Lasten der Krankenkassen beauftragen kann. Im normalen Wirtschaftsleben wäre dies zweifellos unproblematisch möglich. Leider hat das hessische Landessozialgericht in einem Urteil vom 30.11.2006 es abgelehnt, neben den Verzugszinsen den Krankenkassen weitere Kosten der Rechtsverfolgung wie Mahngebühr oder Rechtsanwaltskosten aufzuerlegen. Für die Erstattung von Anwaltskosten fehle es an einer Anspruchsgrundlage. Weitergehende Schadensersatzansprüche bei Verzug seien gesetzlich nicht vorgesehen. Hieraus müsse geschlossen werden, dass der Gesetzgeber die Schadensersatzpflicht der Krankenkassen im Fall des Verzuges auf die Verzinsungspflicht beschränken wollte (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.11.2006, Az: L 8 KR 175/05). Das Urteil des hessischen Landessozialgerichts ist allerdings nicht rechtskräftig geworden, da es durch den klagenden Leistungserbringer mit der Revision zum BSG angefochten worden ist. Der Rechtsstreit ist derzeit beim Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 3 KR 1/07 R anhängig.

Das Urteil des LSG dürfte keinen Bestand haben. Das BSG hat schon in den oben genannten Urteilen vom 23.03.2006 und 03.08.2006 festgestellt, dass es keinen sachlichen Grund gibt, den öffentlich-rechtlich geregelten Gesundheitsmarkt im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung anders als das übrige Wirtschaftsleben zu behandeln. In konsequenter Weiterentwicklung der Rechtsprechung ist der Vergütungsanspruch der Leistungserbringer daher m.E. sowohl zu verzinsen als auch der weitergehende Schaden zu ersetzen. Das BSG hat bereits zuvor ausgeführt, dass die entsprechende Anwendung zivilrechtlicher Verzugsregelungen auf diesem Bereich des öffentlich rechtlichen Gesundheitsmarktes anwendbar und mit den Vorgaben des 4. Kapitels SGB V vereinbar sind. Zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen besteht ein Verhältnis der Gleichordnung, die Zahlungspflicht der Krankenkassen und die Leistungspflicht der Leistungserbringer stellen im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Hauptleistungspflichten dar. Das BSG führt wörtlich aus: „Die Rechtsbeziehung zwischen beiden Vertragspartnern ist (…) einem normalen BGB Kaufvertrag durchaus vergleichbar, für den die Verzugsregelungen des BGB unbestreitbar Geltung besitzen“.

Damit müssten aber auch die allgemeinen Regelungen zum Verzugsschaden Geltung besitzen und Rechtsanwalts- sowie sonstige Mahnkosten im Falle des Zahlungsverzugs übernommen werden. Der hierzu vor dem Bundessozialgericht anhängige Rechtsstreit dürfte Anfang 2008 zur Entscheidung anstehen. Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens sollte die bisherige Rechtsprechung des BSG aber schon ausreichen, um die Zahlungsmoral der Krankenkassen nachhaltig zu verbessern.

Praxistipp:
Prüfen Sie in Ihren Versorgungsverträgen, wann Ihre Vergütungsansprüche fällig werden. Werden nach dem Vertrag Ihre Vergütungsansprüche beispielsweise 3 Wochen nach Rechnungseingang zur Zahlung fällig, so befindet sich die Krankenkasse ab dem 1. Tag nach Ende dieser Frist im Zahlungsverzug und muss auf die Forderung Zinsen in Höhe von derzeit 9,95 % bezahlen. Hierzu bedarf es keiner Mahnung, da die Fälligkeit vertraglich bestimmt ist.