BSG bestätigt Refinanzierung von Tariflöhnen

Bundessozialgericht, Urteil des 8. Senats vom 07.10.2015, Az.: B 8 SO 21/14 R

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat ein bedeutsames Urteil gefällt, das wichtige Aussagen zur Entgeltfindung für Einrichtungen der Behindertenhilfe enthält. Es bestätigt seine Rechtsprechung, die das BSG bereits für den Pflegebereich getroffen hatte.

Nach § 75 Abs. 3 Satz 1 SGB XII schließen Einrichtungen der Behindertenhilfe mit dem zuständigen Sozialhilfeträger u.a. Vereinbarungen über die Höhe der Vergütung ab. Kommt eine Vereinbarung über die Vergütung nicht zustande, so kann die Schiedsstelle angerufen werden. Diese entscheidet dann über die Höhe der Vergütung.

Häufiger Streitpunkt ist die Frage, ob ein Einrichtungsträger einen Anspruch darauf hat, die von ihm gezahlte tarifliche Entlohnung seiner Mitarbeiter in voller Höhe zu refinanzieren.

Gegenstand der Entscheidung des BSG war ein Schiedsspruch aus dem Saarland, der von der Prämisse ausgegangen war, dass Tarifentgelte stets als wirtschaftlich und angemessen gelten und daher refinanziert werden müssen.

Nach dem BSG war es nicht zu bemängeln, dass die Schiedsstelle eine tarifliche Entlohnung als angemessen bewertet hatte.

Zunächst müssen die Kosten auf ihre Schlüssigkeit hin geprüft werden (erste Prüfungsstufe). Die Aussagen der Schiedsstelle hierzu können von einem Gericht voll überprüft werden.

In dem vorliegenden Fall war zwischen den Beteiligten an dieser Stelle streitig, ob ein anonymisiertes Lohnjournal ausreichend ist, um die entstehenden Personalkosten schlüssig darzulegen. Der Sozialhilfeträger hatte eingewandt, es wäre Aufgabe der Schiedsstelle gewesen, hier weitergehend in die Tiefe zu ermitteln, ob etwa die tarifliche Einstufung zutreffend ist.

Das BSG wies diesen Einwand zurück. Der Kostenträger habe zwar aufgrund der Prüfungsvereinbarung ein Recht zur Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen gehabt. Er machte jedoch von diesem Recht keinen Gebrauch, weil solche Verfahren zu arbeits- und kostenaufwändig seien. Diesen Aufwand könne der Kostenträger aber nicht der Schiedsstelle aufbürden, die nur ein Vertragshilfeorgan ist.

Auch im Schiedsverfahren bestünden erhebliche Mitwirkungsobliegenheiten des Sozialhilfeträgers auf der Ebene der Prüfung der wirtschaftlichen Angemessenheit der Entgeltforderung (zweite Prüfungsstufe).

Die Schiedsstelle ist nicht gehalten, im Einzelnen in die Prüfung der Ursachen hoher, tatsächlich vorhandener Ausgaben einzusteigen.

Bei den Personalkosten sei die Schiedsstelle zutreffend von Vergütungen nach den Arbeitsvertragsrichtlinien für die Einrichtungen des Caritas-Verbandes (AVR) ausgegangen. Sie habe diese zu Recht als tarifliche Regelungen gewertet, deren Angemessenheit einer externen, vergleichenden (marktorientierten) Kontrolle nicht mehr zugänglich ist.

Tarifentgelte, zu denen auch Entgelte nach AVR zu rechnen sind, müssen damit uneingeschränkt Berücksichtigung finden.

Für die Praxis entscheidend sind vor allem drei Aspekte:

  1. Ein festes Prüfungsschema muss die Schiedsstelle im Bereich des SGB XII nicht einhalten. Es empfiehlt sich jedoch, das Prüfungsraster des BSG im SGB XI.-Bereich anzuwenden, d.h. die Plausibilität der kalkulierten Kosten zu prüfen und anschließend die Kosten und/oder die Entgeltforderung insgesamt anschließend an den entsprechenden Werten vergleichbarer Einrichtungen der Region zu messen.
  2. Im Rahmen des Schiedsverfahrens treffen den zuständigen Sozialhilfeträger umfassende Mitwirkungspflichten. Dies gilt insbesondere, wenn er die Möglichkeit zu Wirtschaftlichkeitsprüfungen hat, diese aber nicht nutzt. Kommt der Sozialhilfeträger seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nach, so ist es nicht zu beanstanden, wenn die Schiedsstelle von sich aus keine weiteren Nachforschungen anstellt.
  3. 3. Tarifentgelte einschließlich der AVR müssen im Rahmen der Prüfung der Wirtschaftlichkeit keiner Angemessenheitsprüfung im externen Vergleich mehr unterzogen werden, da sie per se wirtschaftlich sind.