BGH: Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird durch die Bewilligung von Sozialleistungen eine zivilrechtliche Rechtsbeziehung zwischen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer begründet. Der Sozialhilfeträger erklärt insoweit einen Schuldbeitritt zur Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers aus dessen zivilrechtlichem Vertrag mit dem Leistungserbringer.

An diesen Schuldbeitritt ist der Sozialhilfeträger grundsätzlich gebunden, allerdings nur soweit und solange, wie er den Bewilligungsbescheid nicht zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben hat bzw. solange der Bewilligungszeitraum nicht abgelaufen ist.

Der BGH hat nun entschieden, dass im Fall einer bestandskräftigen Zurücknahme des Bewilligungsbescheides für die Vergangenheit auch der Rechtsgrund für die Zahlungen an den Leistungserbringer entfällt, so dass  bereits geleistete Zahlungen nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGBauszugleichen sind. Der Leistungserbringer muss in diesem Fall die erhaltenen Zahlungen an den Sozialhilfeträger zurückzahlen. Sein Schuldner bleibt dann nur der Hilfeempfänger.

BGH, Urteil vom 31.03.2016 – III ZR 267/15, BeckRS 2016, 07170

Sachverhalt

Der Kläger ist ein überörtlicher Sozialhilfeträger. Er nimmt den Beklagten, der Träger einer Förderschule ist, auf Erstattung von Kosten in Anspruch, die im Zusammenhang mit der teilstationären Betreuung eines mehrfach behinderten Kindes entstanden sind. Nachdem das Kind zunächst den heilpädagogischen Sonderkindergarten des Beklagten besucht hat und der Kläger insoweit die Kosten übernommen hat, sollte es nach dem Willen seiner Eltern mit Beginn der Schulpflicht in der angrenzenden, ebenfalls vom Beklagten getragenen Schule teilstationär betreut werden. Den entsprechenden Antrag auf Kostenübernahme vom 03.06.2008 lehnte der klagende Sozialhilfeträger ab, da eine andere Schule am Wohnort des Kindes die für den Förderbedarf des Kindes zuständige Einrichtung sei und durch Aufnahme in die Schule des Beklagten unverhältnismäßige Mehrkosten im Rahmen der Sozialhilfe entstehen würden. Gleichwohl erklärte sich der klagende Sozialhilfeträger bereit, dem Kind den Besuch der Schule des Beklagten bis Ende 2008 zu ermöglichen. Für die Zeit danach lehnte er die weitere Betreuung des Kindes ohne gleichzeitige Klärung der Kostenfrage ab. Auf Antrag des Kindes verpflichtete das SG den Kläger im Wege der einstweiligen Anordnung ab dem 01.01.2009 vorläufig die Kosten des Besuchs der Schule des Beklagen als Leistung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen. Daraufhin bewilligte der Kläger mit Bescheid vom 07.05.2009 Sozialhilfe für das Kind und übernahm vorläufig „entsprechend dem Beschluss des SG“ für den Zeitraum ab dem 01.01.2009 die Kosten, und zwar schlussendlich bis zum 31.05.2010. Das LSG hebt auf Beschwerde des Sozialhilfeträgers die einstweilige Anordnung auf mit der Begründung, das Kind habe nach dem Mehrkostenverbot keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Besuch dieser Schule in Niedersachsen, weil diese Kosten beim Besuch der in Nordrhein-Westfalen gelegenen Schule als zuständige Förderschule nicht anfallen würden. Der Kläger nahm den Bescheid zur vorläufigen Kostenübernahme für die teilstationäre Betreuung dem Kind gegenüber zurück und forderte vom Kind Erstattung der Kosten i.H.v. rund 35.000 EUR. Tatsächlich haben die Eltern des Kindes ab dem 01.01.2013 monatliche Raten von jeweils 250 EUR an den Kläger gezahlt.

Zeitgleich klagt der Sozialhilfeträger gegen die Schule auf Rückzahlung der für den Schulbesuch aufgewendeten Kosten nach allgemeinen Grundsätzen des Bereicherungsrechts i.H.v. rund 35.000 EUR. LG und OLG weisen die Klage ab (vgl. OLG Oldenburg, FD SozVR 2016, 374674). Dagegen richtet sich die Revision des klagenden Sozialhilfeträgers.

Entscheidung

Der BGH gibt der Revision statt. Die Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger als Sozialhilfeträger und dem Beklagten als Leistungserbringer im Rahmen des Schulverhältnisses ist zivilrechtlich zu beurteilen. Ohne Rechtsgrund erbrachte Zahlungen des Sozialhilfeträgers sind nach Maßgabe der §§ 812 ff. BGBauszugleichen. Dies folge aus dem so genannten „sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis“. Das zwischen dem behinderten Menschen und dem Sozialhilfeträger bestehende „Grundverhältnis“ sei Fundament und rechtlicher Maßstab für die übrigen Rechtsbeziehungen des sozialhilferechtlichen Dreiecks. Diese dienen der Erfüllung der Ansprüche im Grundverhältnis. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Leistungserbringern und den Sozialhilfeträgern werden in ihrem Rahmen durch die öffentlich-rechtlich zu qualifizierenden Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII bestimmt. Da der Sozialhilfeträger die Leistungen grundsätzlich nicht selbst erbringt, hat er durch Verträge mit den Leistungserbringern eine Sachleistung durch diese sicherzustellen. Dies geschieht in Form eines Schuldbeitritts des Sozialhilfeträgers. Der Schulbeitritt hat sowohl einen unmittelbaren Zahlungsanspruch des Leistungsempfängers gegen den Sozialhilfeträger als auch einen Anspruch des Hilfeempfängers gegen den Sozialhilfeträger auf Zahlung an den Leistungserbringer zur Folge. Aus den zu dem sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis entwickelten Grundsätzen folgt für den vorliegenden Fall, dass der Kläger durch den Leistungsbescheid der Zahlungsverpflichtung des hilfebedürftigen Kindes aus dem Schulvertrag beigetreten ist. Aufgrund dieses Beitritts ist der Beklagte als Leistungserbringer Gläubiger eines den Vorschriften des BGB unterliegenden Zahlungsanspruchs. Durch die rückwirkende Aufhebung der Sozialhilfebewilligung ist der Rechtsgrund für die erbrachten Zahlungen nachträglich weggefallen. Der Sozialhilfeträger ist an den im Bewilligungsbescheid erklärten Schuldbeitritt grundsätzlich gebunden. Diese Bindungswirkung besteht solange und soweit der der Bewilligung zugrundeliegende Verwaltungsakt nicht zurückgenommen wurde. Der Beklagte kann sich auch nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen. Er durfte nicht darauf vertrauen, dass die im vorliegenden Rechtsschutz erstinstanzlich ergangene Entscheidung, auf der der Bewilligungsbescheid beruhte, im Rechtsmittelverfahren und später im Hauptsacheverfahren bestätigt wird. Da der beklagte Schulträger und der Hilfeempfänger gesamtschuldnerisch auf Rückzahlung haften, ist die Klagesumme um die Zahlungen der Eltern zu verringern.