Anspruch auf häusliche Krankenpflege auch in Behinderteneinrichtungen

Nach der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Leistungserbringung gem. § 37 SGB V auf betreute Wohnformen war lange Zeit fraglich, ob auch in Einrichtungen der Behindertenhilfe Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht. Die Krankenkassen wiesen dies stets mit Hinweis auf die stationäre Versorgung in diesen Einrichtungen zurück. Das LSG Berlin-Brandenburg hat dem gegenüber nunmehr einen solchen Anspruch grundsätzlich bejaht.

Fraglich war insoweit, ob die Einbeziehung vollstationärer Behinderteneinrichtungen/-heime in den Anwendungsbereich des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V grundsätzlich ausgeschlossen ist oder ob solche Einrichtungen als „betreute Wohnformen“ oder „sonst geeigneter Ort“ im Sinne dieser Vorschrift gelten können. Nach der gesetzlichen Regelung werden die Leistungen „im Haushalt der Versicherten, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten“ erbracht. Einrichtungen der Behindertenhilfe unterliegen grundsätzlich den Bestimmungen des Heimgesetzes bzw. der Nachfolgegesetze der Länder. Daher hielt das LSG Niedersachen-Bremen in seinem Urteil vom 23.04.2009 (L 8 SO 1/07) eine Einbeziehung vollstationärer Behinderteneinrichtungen/-heime in dem Anwendungsbereich des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V für ausgeschlossen. Das Gericht argumentierte dahingehend, dass der Gesetzgeber die Einbeziehung dieser Einrichtungen ausdrücklich hätte formulieren müssen. Die beispielhaft aufgeführten Orte „betreute Wohnformen, Schulen und Kindergärten“ sprächen jedenfalls auf den ersten Blick gegen eine Ausweitung der häuslichen Krankenpflege über den Haushalt und die Familie hinaus auf jeden geeigneten Ort. Vielmehr sollte der fragliche Ort mit den beispielhaft genannten vergleichbar sein. Dieser könne nicht so weitgehend verstanden werden, dass nunmehr auch Heime im Sinne des Heimgesetzes als sonstiger geeigneter Ort gelten sollten. Die Gesetzesänderung habe nur den Zweck verfolgt, vorschnelle stationäre Einweisungen zu vermeiden und durch eine vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffs zu bewirken, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung neue Wohnformen, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen hinsichtlich der Erbringung von häuslicher Krankenpflege gegenüber konventionellen Haushalten nicht benachteiligt werden.

Demgegenüber hatte das LSG Hamburg in seinem Beschluss vom 12.11.2009 (L 1 B 202/09 ER KR) den Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V grundsätzlich auch dann bejaht, wenn die Versicherten in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe lebten. Eine solche stationäre Wohneinrichtung sei jedenfalls dann ein geeigneter Ort im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, wenn die Versicherten gegen den Einrichtungsträger keinen Anspruch auf Behandlungspflege hätten. Insoweit sei es rechtlich unerheblich, ob es sich bei der Einrichtung um ein Heim im Sinne des Heimgesetzes handle. Denn ein Vergleich mit anderen betreuten Wohnformen rechtfertige es, stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe diesen Wohneinrichtungen gleichzustellen und sie als geeignete Orte im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V anzusehen, sofern man sie nicht bereits als besondere Ausprägung des betreuten Wohnens bewerte. Der Gesetzgeber habe Lücken zwischen der ambulanten und stationären Versorgung vermeiden wollen. Stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe könnten auch nicht mit stationären Einrichtungen wie Krankenhäusern, medizinischen Rehabilitationseinrichtungen oder Pflegeheimen gleich gesetzt werden. In den Einrichtungen der Behindertenhilfe stünden nämlich die gesellschaftliche Integration der Bewohner im Vordergrund, die möglichst unabhängig werden sollen (§ 53 Abs. 3 SGB XII). Die Übergänge von einer Wohngemeinschaft mit Betreuungshilfe zu einer stationären Einrichtung, die unter die Regelungen des Heimgesetzes falle, dürften im Übrigen in Abhängigkeit der Fähigkeiten der Bewohner fließend sein. Deshalb sei das betreute Wohnen gesetzlich auch nicht definiert worden. Aus der Häusliche-Krankenpflege-Richtlinie ergebe sich, dass Anspruch auf häusliche Krankenpflege in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe maßgeblich davon abhänge, ob der Einrichtungsträger verpflichtet sei, Behandlungspflege zu erbringen. Allein der Aufenthalt in stationären Einrichtungen stehe dem Anspruch daher nicht entgegen. Der Anspruch sei lediglich dann ausgeschlossen, wenn ein Anspruch auf Behandlungspflege gegen den Träger der Einrichtung bestehe.

Dieser Auffassung hat sich nunmehr auch das LSG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 24.02.2010 (L 9 KR 23/10 B ER) angeschlossen. Vorrangiges gesetzgeberischen Ziel der Erweiterung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V sei der Gedanke gewesen, Lücken zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu schließen. Dieses Ziel sei nicht zu erreichen, wenn man eine stationäre Unterbringung der behinderten Versicherten nach dem Heimgesetz per se als anspruchsvernichtend ansehen würde. Der Übergang zwischen dem anspruchsbegründet erfassten „betreuten Wohnformen“ und stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe sei fließend. Deshalb sei es kaum möglich, zwischen diesen Betreuungsformen eine klare, eindeutige und überzeugende Abgrenzung zu finden. Die daraus entstehende Unsicherheit würde sich bei der Auslegung des § 37 Abs. 2 SGB V fortsetzen. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Erweiterung des geeigneten Ortes auch auf betreute Wohnformen im Bereich der Eingliederungshilfe wäre fehlgeschlagen und würde ansonsten der alten Rechtslage vor Änderung des Gesetzes entsprechen. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Lückenschließung und Sicherung eines umfassenden Versicherungsschutzes mit medizinischer Behandlungspflege sei deshalb nur sicherzustellen, wenn der Anspruch auf häusliche Krankenpflege auch in stationären Einrichtungen, die den Bestimmungen des Heimgesetzes unterliegen, immer dann einsetzt, wenn eine Anspruch gegen den Einrichtungsträger auf diese Leistung endet oder von vornherein nicht besteht. Allerdings besteht nach Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg hier eine Einschränkung: Die Vertragspartner des Wohn- und Betreuungsvertrages, also die behinderten Menschen auf der einen Seite und der Einrichtungsträger auf der anderen Seite dürften es nur eingeschränkt in der Hand haben, welche Leistungsverpflichtungen des Einrichtungsträgers bestehen und welche nicht. Ein völliger Ausschluss jeglicher Leistungen der Behandlungspflege sei nur dann zulässig, wenn dies auch den einschlägigen Verträgen nach § 75 Abs. 3 SGB X zwischen Einrichtungsträger und Träger der Sozialhilfe entspreche. Sind dagegen die Einrichtungen nach den Rahmenverträgen verpflichtet, „Hilfestellungen“ zur Gewährleistung der medizinischen und therapeutischen Versorgung zu leisten, zu denen explizit auch die Unterstützung bei der Einnahme der verordneten Medikamente sowie die Sorge für eine ordnungsgemäße Verwahrung der Medikamente und die Dokumentation der Einnahme gehören, so sei auch die ärztlich verordnete Medikamentengabe vom Einrichtungsträger zu erbringen und nicht über die häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 SGB V von der Krankenkasse zu finanzieren. Denn hierfür erhalte der Einrichtungsträger dann schon einen Teil der Vergütung nach § 75 Abs. 3 SGB XII. Andere Leistungen jedoch – wie etwa eine ärztlich verordnete Kontrolle des Blutzuckers und täglich vorzunehmende Insulingaben – würden dagegen dann nicht in die Leistungsverpflichtung des Einrichtungsträgers fallen. Denn insofern handle es sich nicht bloß um eine bloße „Hilfestellung zur Gewährleistung der medizinischen Versorgung“.

Dem LSG Berlin-Brandenburg ist im Grundsatz zuzustimmen: Einrichtungen der Behindertenhilfe sind vom Anwendungsbereich des § 37 SGB V erfasst. Jedoch erscheint die Differenzierung nach „einfacher“ Medikamentengabe und „qualifizierter“ Behandlungspflege wenig durchdacht. Denn für die Medikamentengabe wird man kaum ungeschultes Personal einsetzen können. Vom Arzt wird die Medikamentengabe im Rahmen einer ärztlichen Verordnung häuslicher Krankenpflege grundsätzlich nur auf Pflegefachpersonen delegiert werden, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe kaum zur Verfügung stehen. Dies dürfte besonders für die Gabe von Psychopharmaka  gelten, deren Nebenwirkungen im Hinblick auf ein erhöhtes Unfallrisiko (Sturzprophylaxe) besonders zu beobachten sind. Hierzu bedarf es eines aktuellen medizinischen und pharmakologischen Hintergrundes. Sofern diese Fähigkeiten nicht vorhanden sind, wird man den gesetzlich garantierten Leistungsanspruch des Versicherten nicht ablehnen können.

Tipp für die Praxis: 
Auf der Basis der Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg ist in jedem Einzelfall anhand der bestehenden Verträge gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII zwischen Einrichtungsträger und Träger der Sozialhilfe zu prüfen, ob eine Leistungsverpflichtung des Einrichtungsträgers zur Erbringung der Krankenpflegeleistung besteht. In der Regel wird allenfalls die Unterstützung bei der Einnahme der Medikamente zur Leistungsverpflichtung des Leistungsträgers gehören. Sofern jedoch selbst diese Leistungsverpflichtung nicht aus den entsprechenden Rahmenverträgen abgeleitet werden kann, besteht auch insoweit ein umfassender Anspruch auf häusliche Krankenpflege durch externe Pflegedienste.

BSG bestätigt Rechtsprechung zur Feststellung angemessener Pflegesätze

Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 16.05.2013 noch einmal bekräftigt, dass wirtschaftlich angemessene Pflege sätze gemäß § 84 SGB XI in einem zweistufigen Verfahren festzustellen sind: Die von einer stationären Pflegeeinrichtung beanspruchte Vergütung ist leistungsgerecht, wenn die von dem Heimträger zugrunde gelegten voraussichtlichen Gestehungskosten nachvollziehbar sind (Plausibilitätskontrolle) und sie im Vergleich mit der Vergütung anderer Einrichtungen (externer Vergleich) den Grundsätzen wirtschaftlicher Betriebsführung entspricht. Dabei sei die Berücksichtigung von Tarif- oder entsprechenden Entgelten in aller Regel als plausibel anzuerkennen und entspricht wirtschaftlicher Betriebsführung. Damit sollen insbesondere einer Tarifflucht entgegengewirkt und Lohndumping sowie Outsourcing vermieden werden. Andererseits dürfen unangemessene Lohnsteigerungen nicht automatisch an die Versicherten weitergegeben werden. Dieses Spannungsverhältnis hat der Senat wie folgt gelöst: Bei extremen Ausreißern im Lohn- und Tarifgefüge ist eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen, bei der sachliche Gründe für die Lohn-/Gehaltshöhe darzulegen sind. Solche Fälle werden äußerst selten vorkommen. Im Übrigen sei das Entgeltgefüge einer Pflegeeinrichtung zu akzeptieren. Gleichwohl sei auf der 2. Stufe ‑ beim externen Vergleich ‑ eine Gesamtbetrachtung durchzuführen, soweit der geforderte Pflegesatz nicht im unteren Drittel der Vergütungen vergleichbarer Einrichtungen liegt. Entscheidend kommt es bei dieser Gesamtbewertung darauf an, ob der von der Einrichtung geforderte Vergütungssatz im Vergleich mit günstigeren Pflegesätzen und Entgelten anderer Einrichtungen im Hinblick auf die Leistungen der Einrichtung und die Gründe für ihren höheren Kostenaufwand (dennoch) als insgesamt angemessen und deshalb leistungsgerecht iSv § 84 Abs 2 Satz 1 SGB XI anzusehen ist. Wenn beim externen Vergleich eine Gesamtbetrachtung erfolgt und diese eine Verringerung der geforderten Pflegesätze zur Folge hat, dann müssen die Maßstäbe hierfür nachvollziehbar dargestellt werden. 
 
Die leistungsgerechte Vergütung einer Einrichtung umfasse auch eine angemessene Vergütung ihres Unternehmerrisikos. Hierzu zählen nicht Wagnis- und Risikozuschläge oder solche für höhere Gewalt, wie sich schon aus § 85 Abs 7 SGB XI ergibt, sondern im Ergebnis die Möglichkeit zur Gewinnerzielung, denn „Überschüsse verbleiben beim Pflegeheim, Verluste sind von ihm zu tragen“ (§ 84 Abs 2 Satz 5 SGB XI). Ein solcher Zuschlag für angemessene Vergütung kann als umsatzbezogener Prozentsatz berücksichtigt oder auch über die Auslastungsquote gesteuert werden. Letzteres setzt aber voraus, dass die Auslastungsquote im externen Vergleich realistisch angesetzt wird und bei ordnungsgemäßer Betriebsführung auch zu einem Unternehmensgewinn führen kann. (Bundessozialgericht   – B 3 P 2/12 R)

24-Stunden-Intensivpflege auch abweichend von HKP-Richtlinie verordnungsfähig

Häufig lehnt der MDK die Voraussetzungen der verordneten außerklinischen Intensivpflege mit der Begründung ab, die Voraussetzungen der Nr. 24 des Verzeichnisses verordnungsfähiger Maßnahmen der HKP-Richtlinie seien nicht erfüllt. Soweit hierbei eingewandt wird, dass spezielle Krankenbeobachtung nur gewährt werden könne, wenn vitale Gefährdungen regelmäßig und täglich aufträten, ist diese Einschränkung rechtswidrig.

Hierauf hat das Sozialgericht Berlin unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hingewiesen. 

In Nr. 24 Spiegelstrich 1 der Anlage der HKP-Richtlinien heißt es, spezielle Krankenbeobachtung sei (nur) verordnungsfähig, „wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können“. 

Sofern hier eine tägliche Intervention wegen lebensbedrohlichen Situationen gefordert wird, steht dies dem Anspruch des Versicherten nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V um untergesetzliche Normen, die auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind (vgl. BSG im o.a. Urteil vom 10. November 2005, a.a.O., dort Rdnr. 19 m.w.N. sowie in dem von der Beklagten eingeführten Urteil vom 31. Mai 2006 – B 6 KA 69/04 R -, juris, dort Rdnr. 15; vgl. auch Beier in: jurisPK-SGB V, Stand: 25. Juni 2013, § 92 SGB V Rdnr. 46). Sie unterliegen aber der Prüfung dahingehend, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen, ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege auszunehmen. Die HKP-Richtlinien binden die Gerichte insoweit nicht.

Nr. 24 der Anlage der HKP-Richtlinien ist insoweit nicht mit den gesetzlichen Vorgaben von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V vereinbar. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Behandlungspflege zur Sicherung des Erfolgs der ärztlichen Behandlung; die Krankenpflege muss „erforderlich“ sein, und zwar im Sinne der Wahrscheinlichkeit, dass ohne die Pflege der Behandlungserfolg entfällt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20. April 1988 – 3/8 RK 16/86 -, juris, dort Leitsatz Nr. 1; vgl. auch Padé in: jurisPK-SGB V, Stand: 11. September 2014, § 37 SGB V Rdnr. 50, 51). 

Soweit Nr. 24 der Anlage der HKP-Richtlinien voraussetzt, dass „mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich“ sein muss, sind hiermit Anforderungen formuliert, die den Rahmen der gesetzlichen Vorgabe überschreiten. Denn nicht erst bei täglich auftretenden lebensbedrohlichen Situationen entfällt ohne die Pflege der Behandlungserfolg. Dies ist vielmehr schon dann der Fall, wenn solche Situationen aufgrund der Grunderkrankung unvorhersehbar jederzeit auftreten können. Ist dann keine Pflegeperson zur Stelle, die die geeigneten situationsangemessenen Einzelmaßnahmen ergreifen kann, droht der Tod des Versicherten.

Der Anspruch besteht daher auch bei nicht täglich auftretenden lebensbedrohlichen Situationen. Ausreichend ist, dass potentiell solche Situationen jederzeit unvorhersehbar eintreten können.

SG Berlin, Urteil vom 07.11.2014 (Az.: S 89 KR 1954/11), rechtskräftig

Rechtsanwalt Dr. Johannes Groß
26.01.2018

Abrechnungsfehler führen häufig zu Ermittlungsverfahren

Ambulante Pflegedienste sind mittlerweile häufig im Visier der Staatsanwaltschaften. Bundesweit wird gegen zahlreiche ambulante Pflegedienste wegen Verdachtsfällen von Abrechnungsbetrug ermittelt.

In der Praxis handelt es sich meistens um die Abrechnung von Leistungen, die nicht oder nur teilweise erbracht wurden. Des Weiteren stehen Abrechnungen von Leistungen durch nicht vertragsgemäß qualifizierte Pflegekräfte im Fokus. Der BGH hat durch Beschluss vom 16. Juni 2014 (4 StR 21/14) klargestellt, dass Abrechnungsbetrug vorliegt, wenn ein ambulanter Pflegedienst Leistungen abrechnet, die von Mitarbeitern erbracht wurden, die nicht über die mit der Kranken- und Pflegekasse vertraglich vereinbarte Qualifikation verfügen. Das Unterschreiten der vertraglich vereinbarten Qualifikation führt danach auch dann zum vollständigen Entfallen des Vergütungsanspruchs, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden seien („streng formale Betrachtungsweise“ im Sozialrecht). Immer häufiger wird der Vorwurf aber auch nur deswegen erhoben, weil der Pflegedienst bei tatsächlich erbrachter Leistung gegen Dokumentationspflichten verstoßen hat.

Die formalen Anforderungen an die fachliche Qualifikation, die zur Erbringung von behandlungspflegerischen Leistungen nach dem SGB V berechtigen, sowie an die weiteren Umstände der Leistungserbringung, wie etwa Dokumentationspflichten, werden zwischen den Leistungserbringern und Krankenkassen in den Verträgen nach § 132 a Abs. 4 SGB V vereinbart.

Ob der Verstoß gegen Dokumentationspflichten allerdings zu einer Rückforderung der erhaltenen Vergütung berechtigt oder gar einen Betrugsvorwurf auslösen kann, ist zumindest problematisch. Denn nicht jeder Vertragsverstoß kann Rückforderungen und den Vorwurf des Betrugs begründen.

In zahlreichen Verträgen existieren darüber hinaus für Leistungen der Behandlungspflege Öffnungsklauseln, die auch von anderen geeigneten Pflegekräften erbracht werden dürfen, wobei exakte Abgrenzungskriterien fehlen. Die Vertragslage ist oftmals unübersichtlich und bietet Interpretationsspielraum. Fraglich ist, zu welchen Lasten die Unklarheiten gehen und ob diese Rückforderungen und strafrechtliche Ermittlungen rechtfertigen. Zwar kann es sich hierbei um einen Vertragsverstoß handeln, der vertragliche Konsequenzen nach sich zieht; dies ist aber noch kein ausreichender Grund, dem Pflegedienst tatsächlich einen Abrechnungsbetrug vorzuwerfen und Vergütung zurückzuverlangen.

Gleichwohl informieren die Krankenkassen in diesen Fällen häufig die Staatsanwaltschaften, die die sog. „streng formale Betrachtungsweise“ aus dem Bereich des ärztlichen Abrechnungsbetrugs auf Abrechnungsauffälligkeiten im Bereich der häuslichen Krankenpflege übertragen. Die Leistung sei auch dann nicht abrechenbar, wenn sie auch nur in Teilbereichen nicht den gestellten Anforderungen genüge. Dies dürfte nicht zutreffen, denn nicht jeder formale Fehler führt dazu, dass erbrachte Leistungen der Behandlungspflege nicht mehr abrechenbar wären. Es muss sich vielmehr um konstitutive Voraussetzungen handeln, wie die inhaltliche Qualifikation, nicht um bloße Ordnungsvorschriften.

Sind Pflegedienste von diesem Vorwurf betroffen, sollten sie umgehend, möglichst frühzeitig im Ermittlungsverfahren oder schon vorbeugend, anwaltlichen Rat einholen.

Sozialgericht Berlin verurteilt AOK Nordost zur Zahlung des Wohngruppenzuschlags

Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 02.11.2017 – S 111 P 1524/14

Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 02.11.2017 die AOK Nordost verurteilt, dem in einer Wohngemeinschaft für pflegebedürftige Personen lebenden Kläger den Wohngruppenzuschlag nach § 38 a SGB XI zu zahlen. 

Die AOK Nordost lehnte den Antrag des Versicherten zunächst mit der Begründung ab, er könne in der Wohngemeinschaft den Pflegedienst nicht frei wählen. Die Präsenzkraft der Wohngemeinschaft sei auch nicht gemeinschaftlich beauftragt worden. Es liege kein gemeinschaftliches Wohnen vor. Außerdem handle es sich nicht um eine ambulante Versorgungsform, denn der Versicherte sowie seine Mitbewohner seien – wie in einem Heim – auf eine vollständige intensive Betreuung und Pflege rund um die Uhr angewiesen.

Das Sozialgericht sah diese Ablehnungsgründe als wenig nachvollziehbar an. Dafür, dass die Mitglieder der Wohngemeinschaft den Pflegedienst nicht frei wählen könnten, sei nichts ersichtlich. Im Gegenteil: Es sei nachgewiesen, dass regelmäßige Angehörigenversammlungen stattfinden, in deren Rahmen Organisationsfragen der Wohngemeinschaft besprochen und geklärt werden. Die Präsenzkraft sei gemeinschaftlich beauftragt worden. Es handle sich auch um eine abgeschlossene Wohnung, in der jeder Bewohner ein Zimmer hat und die übrigen Räume gemeinschaftlich genutzt werden. Im Übrigen finde ein gemeinschaftliches Leben statt, es werde gemeinsam gegessen und gemeinsam arbeitsteilig unter Anleitung der Haushalt organisiert. An einem gemeinsamen Wohnen könne daher kein Zweifel bestehen. 

Näher befasste sich das Sozialgericht mit dem Argument der AOK Nordost, es handle sich nicht um eine ambulante Wohnform. Dabei hob das Gericht zunächst hervor, dass es bei der Frage der Wohnform auf den Umstand, dass zum Teil eine intensive Pflege in der Wohngemeinschaft notwendig sei, nicht ankomme. Der Umfang der Pflegebedürftigkeit stehe einer ambulanten Wohnform nicht entgegen, denn ein vergleichbarer Pflegebedürftiger in einem eigenen Haushalt bedürfte ebenfalls erheblicher Hilfe. Für eine ambulante Versorgungsform spreche ferner, dass Angehörige in erheblicher Weise in die Organisation der Wohngemeinschaft eingebunden sind. Aufgrund dieser Umstände war die AOK Nordost zur Bezahlung des Wohngruppenzuschlags zu verurteilen.

Leistungserbringung nur durch formal qualifiziertes Personal

Das sächsische Landessozialgericht hat mir Urteil vom 13.09.2018 (Az. L 9 KR 265/13) entschieden, dass Leistungen, die nicht durch formal qualifiziertes Fachpersonal erbracht wurden, nicht zu vergüten sind. Dies gilt selbst dann, wenn zur Leistungserbringung eingesetztes Personal die zur Führung einer nach dem Rahmenvertrag erforderlichen Berufsbezeichnung notwendigen Prüfungen erfolgreich abgelegt, die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung aber nicht beantragt haben. Entscheidend ist die formale Qualifikation zum Zeitpunkt der Leistungserbringung. 

In dem vom LSG Sachsen entschiedenen Fall fehlte einer Pflegefachkraft die nach dem Rahmenvertrag erforderliche formale Qualifikation als „Altenpflegerin“. Die Fachkraft hatte zwar alle erforderlichen Prüfungen abgelegt, den Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpflegerin“ aber erst später gestellt, nachdem sie bereitzs für den Pflegedienst Leistungen erbracht hatte. Für die Zeit, in der die Mitarbeiterin nicht befugt war, die Bezeichnung „Altenpflegerin“ zu führen, ist nach Ansicht des LSG eine ungerechtfertigte Vermögensverschiebung erfolgt, sodass ein Anspruch auf Vergütung nicht bestand.

Die Parteien streiten um die Erstattung der Vergütung pflegerischer Leistungen. Die Klägerin, ein Pflegedienst, hat Leistungen der häuslichen Krankenpflege aufgrund eines mit der beklagten Krankenkasse abgeschlossenen Rahmenvertrages nach § 132a SGB V erbracht. In § 19 des Vertrages war festgehalten, dass die Leistungen unter Aufsicht einer ausgebildeten Pflegekraft erbracht werden müssen. § 20 bestimmte, die fachlichen Voraussetzungen erfülle, wer unter anderem die Bezeichnung „Altenpflegerin“ führen darf. § 22 legte fest, dass neben der Aufsicht führenden zwei weitere Pflegekräfte zu beschäftigen seien, die die Voraussetzungen nach § 20 erfüllen.

Bei einer Prüfung der Klägerin stellte die Beklagte fest, dass eine ehemalige Mitarbeiterin der Klägerin zur Erbringung von Leistungen eingesetzt worden war, die nicht immer die Befugnis gem. § 1 Satz 1 AltPflGzur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpflegerin“ innehatte. Sie hatte zwar die erforderlichen Prüfungen abgelegt, den Antrag zur Erteilung der Erlaubnis aber erst später gestellt, als sie schon für die Klägerin tätig war.Das System der Leistungserbringung gebiete den Einsatz qualifizierten Personals. Die erforderliche Qualität könne nur dadurch abgesichert werden, dass auch bei Leistungserbringung, die zwar an sich ordnungsgemäß, aber nicht durch formal qualifiziertes Personal erfolge, keine Vergütung geleistet werde. Die Bedeutung der Vertragsbestimmungen erschöpfe sich nicht in einer bloßen Ordnungsfunktion, sondern sichere die Qualität im Leistungserbringungssystem ab. Die Qualifikation müsse die Krankenkasse nicht selbst prüfen, sie dürfe sich vielmehr auf die Erteilung der Erlaubnis zur Führung entsprechender Berufsbezeichnungen verlassen. Im Übrigen sei sie auch nicht zu einer fachlichen Prüfung des Personals befugt, dem die Führung einer bestimmten Berufsbezeichnung erlaubt sei. Deswegen komme es nicht darauf an, dass die Mitarbeiterin die erforderlichen Prüfungen abgelegt und lediglich die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpflegerin“ noch nicht beantragt hatte.

LSG: Gemeinschaftliche Beauftragung der Präsenzkraft ist Voraussetzung für Wohngruppenzuschlag

Mit Urteil vom 11.10.2018 (Aktenzeichen L 30 P 71/16) hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erneut entschieden, dass unabdingbare Voraussetzung für den Wohngruppenzuschlag die gemeinschaftlichen Beauftragung einer Präsenzkraft und Festlegung ihres konkreten Aufgabenkreises zur Erfüllung des Zwecks der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung (§ 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI) ist. 

Eine derartige Beauftragung müsse schon nach dem Wortlaut des Gesetzes gemeinschaftlich durch alle Bewohner bzw. deren rechtliche Betreuer im Sinne einer sogenannten Arbeitgebergemeinschaft erfolgen, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung.  Erforderlich sei ein gemeinschaftlicher, ihren individuellen Bedürfnissen entsprechender Willensprozess der Gruppe, mit dem Ergebnis der Bestimmung einer Präsenzkraft und deren Aufgabenkreis. Mit dem Wohngruppenzuschlag sollen jene Aufwendungen zweckgebunden abgegolten werden, die der Wohngruppe durch die gemeinschaftliche Beauftragung der Präsenzkraft entstehen. Damit soll dem besonderen Aufwand Rechnung getragen werden, die Folge der neu organisierten pflegerischen Versorgung der Wohnform ist.

Im entschiedenen Fall war der Pflegedienst mit den Leistungen der Präsenzkraft beauftragt worden. Zwar könne unter Umständen auch ein Pflegedienst Präsenzkraft im Sinne des Gesetzes sein (unter bestimmten Voraussetzungen sei dies möglich, s. BSG, Urteil vom 18. Februar 2016, B 3 P 5/14 R, Rn. 29), es werde aber nicht deutlich, welche konkreten, sich deutlich von der benötigten individuellen pflegerischen Versorgung unterscheidenden Aufgaben der Pflegedienst übernimmt. Die Festlegung des konkreten Aufgabenkreises sei aber zwingend erforderlich. Darüber hinaus fehle es aber auch an dem Nachweis der gemeinschaftlichen Willensbildung der Wohngemeinschaft, obgleich sich dieses gesetzlich vorgegebene Erfordernis auch im beigebrachten Konzept der Wohngruppe wiederfindet. Darin ist niedergelegt, dass die Mitglieder der Wohn-Pflege-Gemeinschaft gemeinschaftlich für organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten oder hauswirtschaftliche Unterstützung eine Alltagsbegleiterin beauftragen und deren Aufgaben festlegen. Das sei bisher nicht erfolgt.
Soweit im Laufe des Klageverfahrens das Protokolle von Wohngruppenversammlungen beigebracht wurden, wonach bestimmte Angestellte des Pflegedienstes gewählt (bzw. im Sinne des Gesetzes „beauftragt“) wurden, sei festzustellen, dass nicht sämtliche Mitglieder der Wohngemeinschaft bzw. ihre Vertreter anwesend waren und entsprechende Unterschriften auch nicht nachweislich unmittelbar nachgeholt wurden. Es fehle insoweit an einer gemeinschaftlichen Willensbildung in Bezug auf die benannte Person sowie deren konkrete Aufgaben. 

Anmerkung für die Praxis:
Das Landessozialgericht setzt für die gesetzlichen Anforderungen an die gemeinschaftliche Beauftragung der Präsenzkraft sowie die gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung einen strengen Maßstab an. Empfehlenswert ist in jedem Fall die Bildung von Auftraggebergemeinschaften und die jeweils protokollierte gemeinschaftliche Beauftragung der Präsenzkraft mit konkret beschriebenem Aufgabenkreis durch alle Wohngruppenmitglieder. Diese gemeinschaftliche Beauftragung ist bei jedem Wechsel in der Zusammensetzung der Wohngruppe zu erneuern.
(RA Dr. Groß, Februar 2019)

MDK-Prüfungen werden ausgesetzt

Die regelmäßige MDK-Qualitätsprüfung wird zunächst bis Ende Mai 2020 ausgesetzt.

Die Kontrollen binden Pflegekräfte, was nun durch die Aussetzung verhindert wird. Außerdem können dadurch die beim MDK angestellten Ärzte und Pflegefachkräfte für die Versorgung der Corona-Infizierten eingesetzt werden.

Ausgesetzt sind allerdings nur die Regelprüfungen. Anlassprüfungen können weiterhin durchgeführt werden.

Krankenkassen müssen schnell über Leistungsanträge entscheiden

Krankenkassen müssen innerhalb von drei Wochen über den Antrag eines Versicherten auf Kostenübernahme für eine Behandlung entscheiden. Wenn noch das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) eingeholt werden muss, ist die Entscheidung innerhalb von fünf Wochen zu treffen.
Dies entschied das Bundessozialgericht in zwei Fällen am 24.04. und 06.11.2018.

Werden diese Fristen nicht eingehalten, gilt der Antrag auf Kostenübernahme als genehmigt. Die Krankenkasse muss in diesem Fall die Kosten der Behandlung übernehmen. Dies regelt § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V.

Im ersten Fall beantragte eine Versicherte nach einer massiven Gewichtsabnahme die Kostenübernahme von Hautstraffungsoperationen. Die Krankenkasse lehnte dies aber nach Einholung eines MDK-Gutachtens ab. Die Begründung der Kasse: Es liege keine behandlungsbedürftige Erkrankung vor. Sie erklärte dies gegenüber der Versicherten aber erst nach Ablauf von fünf Wochen, weil die MDK-Begutachtung selbst auch erst nach Fristablauf erfolgte.
Die Krankenkasse begründete ihre Absage außerdem mit dem Argument, dass die beantragte Operation nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen gehöre.
Dieses Argument ließ das Bundessozialgericht jedoch nicht gelten:
Es genüge, wenn ein hinreichend bestimmter Antrag gestellt werde, über den nicht rechtzeitig entschieden werde. Ebenso sei der Krankenkasse anzulasten, dass die Versicherte über die Fristüberschreitung nicht rechtzeitig informiert wurde.

Auch im zweiten Fall holte die Krankenkasse ein MDK-Gutachten ein, um über den Kostenübernahmeantrag eines an Krebs erkrankten Versicherten zu entscheiden.
Die Kasse lehnte daraufhin den Antrag auf Zahlung einer Immuntherapie später als drei Wochen nach Antragstellung ab. Sie versäumte jedoch, den Versicherten über das benötigte MDK-Gutachten zu informieren.
Auch hier ließ das Gericht das Argument, die Immuntherapie würde nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse unterliegen, nicht gelten. Denn trotz der Einholung eines MDK-Gutachtens habe hier die kürzere Drei-Wochen-Frist gegolten, weil der Versicherte über die Einholung des Gutachtens nicht rechtzeitig informiert wurde.

In beiden Fällen ist die Krankenkasse zur Übernahme der Kosten für die beantragten Behandlungen verurteilt worden.

Bundessozialgericht, Urteile vom 06.11.2018, B 1 KR 13/17 R und B 1 KR 30/18 R

Kammergericht bestätigt Verurteilung des Bezirksamts Mitte zur Zahlung an Pflegedienst

Das Kammergericht hat erneut ein Urteil des Landgerichts Berlin bestätigt, mit dem das Bezirksamt Mitte von Berlin zur Zahlung von Vergütung an einen ambulanten Pflegedienst verurteilt wurde.

Das Bezirksamt Mitte verweigert regelmäßig nachträglich die Bezahlung von ihm selbst bewilligter und vom Pflegedienst auf dieser Grundlage erbrachter Leistungen der Hilfe zur Pflege mit der Begründung, der Pflegevertrag zwischen Pflegedienst und Hilfeempfänger sei unwirksam. Selbst der Bewilligungsbescheid sei keine Rechtsgrundlage für die Bezahlung der erbrachten Leistungen. Das Kammergericht hat dieser rechtswidrigen Auffassung und Verwaltungspraxis nunmehr einen Riegel vorgeschoben und die Verurteilung des Bezirksamts Mitte bestätigt.

Zur Klarstellung: Zwischen Pflegedienst und Hilfeempfänger bestand ein schriftlicher Pflegevertrag, das Bezirksamt Mitte war jedoch der Meinung dieser entspreche nicht den Formvorschriften nach dem Rahmenvertrag. Das Kammergericht bestätigte die Rechtsprechung des Landgerichts Berlin, nach dem der Pflegevertrag keinem Schriftformerfordernis unterliegt und sich ein solches weder aus § 120 SGB XI noch aus § 6 des Rahmenvertrages nach § 75 SGB XI ergibt. Aus der gesetzlichen Vorschrift des § 120 SGB XI ergibt sich, dass unabhängig von den vertraglichen Absprachen im Einzelfall ein Pflegevertrag spätestens mit Beginn des ersten Pflegeeinsatzes zustande kommt. Ein Pflegevertrag kann damit konkludent in Form eines zivilrechtlichen Dienstvertrages nach § 611 BGB geschlossen werden. Das an den Pflegedienst gerichtete Gebot, sodann eine schriftliche Ausfertigung des Pflegevertrages dem Pflegebedürftigen und der Pflegekasse auszuhändigen, setzt das vorherige Zustandekommen des Pflegevertrages voraus und dient aus Gründen der Transparenz der Dokumentation der Vereinbarung. Dieses Schriftformerfordernis ist jedoch nicht konstitutiv, so dass ein Pflegevertrag gleichwohl wirksam ist. Die nach dem Pflegevertrag zu erbringenden Leistungen waren nach Inhalt, Art und Umfang auch hinreichend bestimmt. Inhalt, Art und Umfang ergeben sich bereits aus dem Modulbogen gemäß dem Bewilligungsbescheid des Bezirksamtes. Dieser Modulbogen wurde vom Pflegedienst und vom Hilfeempfänger unterzeichnet und damit rechtswirksam vereinbart.

Des Weiteren ist der Kostenübernahmebescheid in zivilrechtlicher Hinsicht als Schuldbeitritt zu bewerten, so dass dieser für den Pflegedienst die Grundlage darstellt, direkt gegen das Bezirksamt als Kostenschuldner vorzugehen. Auch dies hatte das Bezirksamt bestritten, aber auch insoweit wurde es durch das Urteil des Landgerichts durch das Kammergericht bestätigt.

KG, Beschluss vom 25.02.2021 – 12 U 219/19